200 Jahre Gustav Kirchhoff: Sein Leben und Wirken Damals Und Heute

Team

Kuratierung der historischen Geräte: Maarten DeKieviet (Physikalisches Institut)
Universitätsmuseum: Larissa Faas, Simon Laibe, Charlotte Lagemann, Annika Zschoch
Texte, Gestaltung und Aufbau: Alice Hesse, Charlotte Lagemann, Dr. Wolfram Pernice, Constanze Schmitt, Francesco Toschi, Belina von Krosigk
Interaktive Exponate: Andreas Reiser, Constanze Schmitt, Raphael Schwierz, Jens Wagner
Papiermontage: Buchbinderei der Universitätsbibliothek
Satz und Druck: Print + Medien, ZENTRALBEREICH NF, Universität Heidelberg
Gesamtleitung: Belina von Krosigk

Texttafel 1: 200 Jahre Gustav Robert Kirchhoff – Sein Leben und Wirken damals und heute

Kirchhoffs wissenschaftliche Tätigkeiten waren so innovativ und bahnbrechend, dass sie heute noch als Grundlage für Forschungen und industrielle Anwendungen der Physik, Chemie und Elektrotechnik dienen.
Zu Ehren des 200. Geburtstags von Gustav Kirchhoff präsentiert das Kirchhoff-Institut für Physik in Zusammenarbeit mit dem Physikalischen Institut und dem Universitätsmuseum eine Ausstellung, um Neues zu entdecken und Altbekanntes neu einzuordnen.
 
Gustav Robert Kirchhoff übernahm im Jahr 1854 den Lehrstuhl für Physik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Zu diesem Zeitpunkt war er erst 30 Jahre alt und nur einem kleinen Kreis von Fachexpert: innen bekannt. Innerhalb weniger Jahre erlangte er durch seine wissenschaftlichen Leistungen große Anerkennung in der Fachwelt und hohe Popularität in der Bevölkerung.
Weltruhm erlangten Gustav Kirchhoff und der Chemieprofessor Robert Bunsen durch ihre enge, freundschaftliche Zusammenarbeit an der Universität Heidelberg. Gemeinsam entwickelten sie im Jahr 1859 die Spektralanalyse, eine wegweisende Methode zur Untersuchung des Lichts von chemischen Elementen. Sie basiert auf dem Kirchhoffschen Strahlungsgesetz, legte den Grundstein für die moderne Spektroskopie und führte zur Entdeckung neuer chemischer Elemente wie Cäsium und Rubidium.
Die Arbeiten in der Spektralanalyse markieren wichtige Meilensteine in der Geschichte der Physik und trugen dazu bei, dass die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer in Heidelberg eine Zeit beispiellosen Ruhmes erlebten. Sie bilden die Grundlagen für die spätere Astrophysik und Quantenphysik. Kirchhoffs Vermächtnis umfasst wegweisende Arbeiten in weiteren Bereichen der Physik, darunter Wärme strahlung und Thermodynamik.
Heute sind vor allem die Kirchhoffschen Regeln bekannt. Sie gehören zu den grundlegenden Gesetzen der Elektrotechnik und finden bis heute Anwendung.

Texttafel 2: Gustav Robert Kirchhoff: Leben und Wirken

1824 Gustav Robert Kirchhoff wird am 12. März in Königsberg in Preußen geboren
1842 bis 1847 Studium an der Universität Königsberg bei Friedrich Julius Richelot und Franz Ernst Neumann, dessen Schüler fast alle deutschen Lehrstühle für Physik besetzten
1845 noch als Student veröffentlicht Kirchhoff einen Aufsatz „Ueber den Durchgang eines elektrischen Stromes durch eine Ebene…“ Seine Beobachtungen zur Strom- und Spannungsverteilung sind heute bekannt als „Kirchhoffsche Regeln“
1850 bis 1854 Professor an der Universität Breslau, Beginn der Freundschaft mit Bunsen
1854 Wechsel an die Universität Heidelberg als „Professor für Physik und Direktor des Physikalischen Kabinetts“
1857 heiratet Kirchhoff Clara Richelot (1838–1869), eine Tochter seines Königsberger Mathematikprofessors, mit der er fünf Kinder hat
1859 Bunsen und Kirchhoff entwickeln die Grundlagen der Spektralanalyse
1860 Veröffentlichung mit dem Titel: „Chemische Analyse durch Spectralbeobachtungen; von G. Kirchhoff und R. Bunsen“ in: Annalen der Physik und Chemie, 1860 Nr. 6, Band CX 
1861 Entdeckung neuer chemischer Elemente, wie Cäsium und Rubidium
1872 nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet Kirchhoff Luise Brömmel, Leiterin des Pflegedienstes einer Heidelberger Augenklinik
1875 nimmt Kirchhoff einen Ruf an die Universität in Berlin an und bekleidet dort die erste Professur für theoretische Physik in Deutschland. Gleichzeitig wird er außergewöhnlich besoldetes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften
1887 Kirchhoff stirbt hoch geachtet in Berlin

Die Spektraltafel, die Kirchhoff und Bunsen 1859 veröffentlichen. Neben den Alkalimetallen Lithium, Natrium und Kalium sowie den Erdalkalimetalle Kalzium, Strontium und Barium ist zum Vergleich auch das Sonnenspektrum dargestellt. Die Spektren sind nicht mit höchstmöglicher Auflösung dargestellt, sondern auf charakteristische Linien reduziert.


Texttafel 3: Keine Spektralanalyse ohne reine Substanzen

Je sorgfältiger die Vorarbeit, desto präziser die Messungen – eine Voraussetzung für den Durchbruch in der Spektralanalyse waren Bunsens verbesserter Gasbrenner und seine selbst hergestellten reinen Substanzen.
 
1854 haben Robert Bunsen, sein Schüler Henry Enfield Roscoe und der Labormechaniker Peter Desaga (1812–1879) einen handlichen Brenner weiterent wickelt. Ein Gasstrom (typischerweise Methan), der mit Luft gemischt wird, wird entzündet und erzeugt eine nicht-turbulente und nicht-leuchtende Flamme. Er bietet eine Wärmequelle, die sicher und einfach zu kontrollieren ist, indem die Größe der Luftzufuhröffnung angepasst und somit die Luft zufuhr verändert wird.
Desaga, der in der Heidelberger Hauptstraße ein Geschäft für optische und chemische Apparate betrieb, vermarktete das neue Modell ab 1855 als “ Bunsen´schen Leuchtgas-Apparat”, später bekannt als Bunsenbrenner.
Schon früher wurden spektroskopische Untersuchungen von bedeutenden Wissenschaftlern wie William Hyde Wollaston (1766–1828), Joseph von Fraunhofer (1787–1826) und John Herschel (1792–1871) durchgeführt. Allerdings ließen sie sich durch natürliche Verunreinigungen zu falschen Schlussfolgerungen verleiten. Vor allem die Überlagerung mit den charakteristischen, intensiven, gelben Linien des Natriumspektrums erschwerte die Identifikation anderer Elemente.
Bunsen und Kirchhoff entwickelten Methoden, um Natriumverunreinigungen zu minimieren und die Spektren anderer Elemente deutlicher sichtbar zu machen.
 
In aufwändigen, sorgfältigen Trennverfahren präparierte Bunsen Proben aus Dürkheimer Mineralwasser und sächsischem Lepidolith. Durch die hohe Empfindlichkeit der Spektralanalyse waren nun Spektrallinien zu beobachten, die zu keinem der damals bekannten Elemente passten.
 
Am 3. Mai 1860 und am 23. Februar 1861 teilten Kirchhoff und Bunsen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin die Entdeckung von zwei neuen Elementen mit: Cäsium und Rubidium! Die Namen sind von den lateinischen Farbbezeichnungen für die Farben der Spektrallinien abgeleitet: Cäsium – von caesius ‚himmelblau‘ – weist zwei blaue, und Rubidium zwei rote – von rubidus ‚dunkelrot‘ –Spektrallinien auf. Diese Entdeckungen stellten einen bedeutenden Fortschritt in der analytischen Chemie dar und demonstrierten die Wirksamkeit der Spektralanalyse als Methode zur Entdeckung neuer Elemente

Texttafel 4: Das Physikalische Kabinett

Gustav Kirchhoff wird 1854 in Heidelberg zum „ordentlichen Professor für Physik und Direktor des Physikalischen Kabinetts“ ernannt – was heißt das?
 
Ein Kabinett kann ein Schrank oder ein Raum sein, in dem eine Sammlung aufbewahrt wird. 1752 übergab der Kurfürst eine kleine Sammlung von Apparaten an Christian Mayer, den neuen Professor für experimentelle und mathematische Physik zu Vorlesungszwecken. Weitere Spenden und Ankäufe folgten.
1850 war das Physikalische Institut im Haus zum Riesen untergebracht: im zweiten Stockwerk lagen ein großer Sammlungssaal, ein Hörsaal für Physik, ein Zimmer für den Direktor und ein Arbeitssaal als physikalisches Laboratorium dicht beieinander. Der Vorgänger Kirchhoffs, Philipp von Jolly, ermöglichte den Studenten hier erstmals, selbst im Labor zu experimentieren.
Mit dem internationalen Erfolg der Naturwissenschaften in Heidelberg, eingeleitet von Gelehrten wie Kirchhoff, Bunsen und Helmholtz, wuchs die Physik rasant und so auch der Bedarf an Geräten. Als Direktor des Physikalischen Kabinetts durfte Kirchhoff 400 Gulden im Jahr dafür ausgeben.
Im Jahre 1905 wurden für den Nobelpreisträger Philipp Lenard am Philosophenweg 12 gleich zwei Institute gebaut, ausgestattet mit einem großen Hörsaal, einem angrenzenden Raum für die Vorlesungsvorbereitung der Experimentalphysik und einem separaten Saal für die Aufbewahrung der Sammlung.
Mit der Errichtung des neuen Hörsaalgebäudes in den 1970er Jahren für die Physik „Im Neuenheimer Feld 308“ ist ein Großteil dieser Sammlung mit umgezogen, um sie weiterhin für Vorlesungen der Experimentalphysik zu nutzen.
Die ältesten Objekte – einige aus der Zeit vor Kirchhoff – sind seit 2012 als „Sammlung historischer Instrumente des Physikalischen Instituts“ im Gebäude „Im Neuenheimer Feld 226“ untergebracht. Sie werden gelegentlich in Ausstellungen gezeigt.

Unischtbare Hände

Viele Menschen arbeiten daran, dass Wissenschaft gelingt und Erkenntnisse verbreitet werden können. Die meisten davon bleiben unbekannt. Durch einen besonderen Zufall sind einige Dokumentationszeichnungen erhalten geblieben, die der Universitätszeichner Friedrich Veith in den Labors berühmter Forscher anfertigte und für die Veröffentlichung vorbereitete.

Texttafel 5: Spektroskopie

1859 arbeitete Kirchhoff über das Sonnenspektrum und Bunsen experimentierte mit chemischer Analyse mittels Flammenfärbung. Um beides zusammenzuführen, ließen sie den Labortechniker Peter Desaga aus vorhandenen Teilen einen improvisierten Apparat zusammenbauen.
 
Der erste Spektralapparat war ein Prismenspektrograph, der das zu untersuchende Licht durch einen dünnen Eintrittsspalt lenkte. Ein Kollimator richtete das Licht parallel aus, bevor es auf ein Prisma traf, das eine frequenz abhängige Aufspaltung des Lichts bewirkte. Ein schwenkbar gelagertes Fernglas ermöglichte die Messung der Lichtspaltung, wobei die Winkel zwischen den Strahlen gemessen wurden. Da die Winkelmessung in einem Strahlenbündel schwierig ist, wurde oft eine Kamera anstelle des Fernglases verwendet, um die resultierenden Abstände auf einer Fotoplatte zu messen.
 
Jedes leuchtende Gas unter niedrigem Druck sendet ein charakteristisches Spektrum aus, das als Linienspektrum mit Linien erscheint, die nur beim Leuchten des betreffenden Stoffes auftreten. Dies gilt sowohl für Emissionsspektren als auch für Absorptionsspektren, die durch dunkle Linien in einem kontinuierlichen Spektrum gekennzeichnet sind. Die Spektrallinien geben Aufschluss darüber, welche Stoffe die Lichtquelle umgeben haben oder auf dem Weg zur Untersuchungsapparatur vom Licht durchdrungen wurden. Die Spektralanalyse ermöglichte es, das Leuchten von Sternatmosphären zu beschreiben und markierte den Beginn der Astrophysik. Sie war auch eine Voraussetzung für die Entwicklung der Quantenmechanik im 20. Jahrhundert und begründete einen ganzen Zweig der Analytik in der Chemie.

A - Innen geschwärzter Kasten


B - Kleines Fernrohr mit Kollimator für einfallendes Licht


C - Kleines Fernrohr zur Beobachtung


D - Lampe (Bunsenbrenner)


E - Probenträger


F - Hohlprisma angefüllt mit Schwefelkohlenstoff


G - Spiegel zur Ausrichtung


H - Arm zur Ausrichtung



Aufbau zur Benutzung des Spektralapparats, Illustration aus: Spectrum Analysis in Its Application to Terrestrial Substances, and the Physical Constitution of the Heavenly Bodies, 1872


Texttafel 6: Was haben Aliens, Krebs und Kartoffelchips gemeinsam? Spektroskopie!

Seit Kirchhoff und Bunsen erkannten, dass Lichtspektren einzigartige Fingerabdrücke für die chemische Zusammensetzung eines Materials darstellen, hat die Spektroskopie weitreichende Anwendungen in verschiedenen Bereichen von Forschung bis Industrie gefunden.
 
Das von Sternen und Galaxien emittierte Licht enthält wichtige Hinweise auf ihre Chemie und hilft Astronomen dabei, kosmische Rätsel zu lösen. Durch die Identifizierung von Lichtspektren, die auf Wasser hinweisen, können Wissenschaftler:innen potenziell bewohnbare Planeten im Weltraum lokalisieren.
 
In der Pharmaindustrie ist die Spektroskopie ein wichtiges Fenster zur molekularen Struktur von Medikamenten. Sie ermöglicht Echtzeitüberwachung der Stabilität, präzise Messung der Wirkstoffkonzentrationen im Blut und die Erkennung von gefälschten Medikamenten, um Sicherheit und Wirksamkeit zu gewährleisten. Spektroskopie wird auch in der Medizin eingesetzt, insbesondere zur Krebsdiagnose. Durch die Analyse der Lichtantwort des Gewebes gewinnt ärztliches Fachpersonal Einblicke in dessen zelluläre Zusammensetzung, was zu einer frühzeitigen Erkennung und personalisierten Behandlungsstrategien führt.
 
Schließlich verlässt sich die Lebensmittelindustrie auf Spektroskopie, um die genauen Nährstoffgehalte von Rohstoffen wie dem Wassergehalt zu quantifizieren. Dies ist möglich, indem das Spektrum des von den Rohstoffen reflektierten Lichts gemessen und die spezifischen Fingerabdrücke identifiziert werden. Auf diese Weise ist es möglich, die besten Kartoffeln für Ihre Chips auszuwählen.

Texttafel 7: Die Kirchhoffschen Regeln

Am häufigsten wird Gustav Kirchhoff vermutlich mit den nach ihm benannten Regeln in Verbindung gebracht, die er 1845 zur Verteilung von Strömen in einem Leitersystem formulierte und veröffentlichte.
 
Nachzulesen sind diese in einem seiner ersten Aufsätze, die Kirchhoff noch als Student im vierten Studienjahr in Königsberg veröffentlichte. Er untersuchte den elektrischen Stromdurchgang durch eine kreisförmige Ebene. Dabei berechnete er die genaue Lage der Äquipotentiallinien auf dieser Ebene, die er anschließend in einem Versuch mit einer runden Kupferplatte experimentell bestätigen konnte.
 
Im Anhang dieser Forschungsarbeit formulierte er die schon vorher bekannten Zusammenhänge zwischen Strömen und Spannungen in elektrischen Netzwerken in allgemeingültigen Gesetzen bzw. Regeln. Diese Gesetze sind auch heute noch bedeutend in der Elektrotechnik für Schaltungsentwürfe und Netzwerkanalysen.

1. Kirchhoffsches Gesetz (Knotenregel)

In jedem Verzweigungspunkt (Knoten) eines elektrischen Netzwerkes ist die Summe der zufließenden Ströme gleich der Summe der abfließenden Ströme.
 
Izu = Iab → I1 + I2 + I3 + ... + In = 0

2. Kirchhoffsches Gesetz (Maschenregel)

Alle Teilspannungen (U_k ) eines geschlossenen Weges (Masche) in einem elektrischen Netzwerk addieren sich zu null. Die Summe der Teilspannungen in so einer Masche entspricht also der Spannung der Quelle.
 
UQuelle = U1 + ... + Un → U1 + U2 + U3 + ... + Un = 0